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Geschrieben von captainpeter am 06.04.2008 um 04:11:

  Maghrebinische Geschichten

Hallo zusammen,

ein Freund hat mir ein Büchlein geschickt von Greogr von Rezzori.

Liest heute auch keiner mehr.

http://www.dieterwunderlich.de/Gregor_Rezzori.htm

Das sind seine Maghrebinischen Geschichten.
Damit ist nicht Marokko gemeint, sondern ein Phantasiestaat irgendwo an den Grenzen der k.u.k. Monarchie, sagen wir mal Richtung Bessarabien oder da, also in Danishenkos Heimat.

Ein nettes Kapitel ist, wo es um das politische System dort geht:

Also Maghrebinien ist ein konstitutionelles Königreich, unter weiser Führung von König Nikifor XIV.
Es gibt zwei große Parteien.
Die Hyper-Radikalen, unter Führung des Bojaren Kantakukuruz.
Und die Ultra-Extremen, unter Führung des Bojaren Pungaschij.

Das Wahlsystem dort war das sogenannte "negative Wahlsystem":
wonach nämlich die Wahlberechtigten anzugeben hatten, welchem von den aufgestellten Kandidaten sie die Geschäfte der Regierung NICHT anvertrauen wollten. Dadurch wurde eine weit größere Wahlbeteiligung als die in andern Ländern übliche erzielt.

Nun war wieder Wahl des Bundeskanzlers, und beide Kontrahenten hatten exact gleich viele Stimmen, - oder Gegenstimmen.

Der König hat daher die beiden zu einem öffentlichen Streitgespräch geladen, um eine Entschiedung herbeizuführen:

aus KAPITAL XXV – WELCHES HANDELT VON EINEM WAHLGANG IN MAGHREBINIEN.)

Vor dem versammelten Volke trafen also Kantakukuruz und Pungaschij zusammen, und Pungaschij begann:

«Dieser», so begann Pungaschij und deutete damit auf Kantakukuruz, «will die Gunst des Volkes dazu benutzen, um seine und seiner Parteigänger Macht zu festigen.»

«Lügt er oder spricht er wahr?» fragte der Monarch den Opponenten [nämlich: Kantakukuruz].

«Wahr», erwiderte dieser [nämlich: Kantakukuruz], «denn nur unter einer machtvollen Regierung kann das Volk gedeihen. Dieser aber» [und damit deutete er auf Pungaschij] «will das Vertrauen des Volkes dazu missbrauchen, um sich und seine Parteigänger schnöde zu bereichern.»

«Lügt er oder spricht er wahr?» fragte der Monarch den Opponenten [nämlich: Pungaschij].

«Wahr», erwiderte Pungaschij, «denn nur der Reichtum gibt Gelassenheit und Muße genug, sich den Staatsgeschäften mit voller Kraft zu widmen. Dieser aber» [und damit deutete er auf Kantakukuruz] «wird alle Macht dazu verwenden, die Janitscharen zu bewaffnen und auszurüsten, während die Bürger des Landes darben werden.»

«Lügt er oder spricht er wahr?» fragte der Monarch den Opponenten [nämlich: Kantakukuruz].

«Wahr!» entgegnete darauf Kantakukuruz, «denn nur die Sicherheit gegen Überfälle der Nachbarn gewährleistet die Blüte des Landes. Dieser aber» [und damit deutete er auf Pungaschij] «wird Fett an die Bäuche der Bürger züchten, dass sie darüber die Würde der Freiheit vergessen werden.»

«Lügt er oder spricht er wahr?» fragte der Monarch den Opponenten [nämlich: Pungaschij].

«Wahr!» erwiderte darauf Pungaschij, «denn ein voller Bauch ist besser als ein aufgeschlitzter Bauch. Dieser aber» [und damit deutete er auf Kantakukuruz] «wird die Jugend im Gebrauch der Waffen unterweisen, dass darüber die Wissenschaften und alle Werte des Geistes verdorren werden.»

«Lügt er oder spricht er wahr?» fragte der Monarch den Opponenten [nämlich: Kantakukuruz].

«Wahr!» entgegnete darauf Kantakukuruz, «denn nichts nützt ein mit aller Weisheit dieser Erde vollgestopfter Kopf, wenn er abgeschlagen ist. Dieser aber» [und damit deutete er auf Pungaschij] «wird Verweichlichung und Überfluss über das Volk der Maghrebinier bringen, dass Völlerei und Wollust herrschen werden.»

«Lügt er oder spricht er wahr?» fragte der Monarch den Opponenten [nämlich: Pungaschij].

«Wahr!» erwiderte darauf Pungaschij, «denn aus dem Überfluss kommt Verfeinerung und aus dieser wiederum werden die Künste. Dieser aber» [und damit deutete er auf Kantakukuruz] «wird, um Janitscharen zu hecken, die Mädchen unseres Landes zu dummen Glucken und die Jünglinge zu stumpfen Rammlern machen.»

«Lügt er oder spricht er wahr?» fragte der Monarch den Opponenten [nämlich: Kantakukuruz].

«Wahr!» entgegnete darauf Kantakukuruz, «denn von den Müttern kommt die Sitte, und von der Sitte das Recht. Dieser aber» [und damit deutete er auf Pungaschij] «wird das Recht verwildern lassen und die Hüter der Gesetze für Bakschisch bestechlich machen.»

«Lügt er oder spricht er wahr?» fragte der Monarch den Opponenten [nämlich: Pungaschij].

«Wahr!» rief voll Erbitterung Pungaschij. «Denn wie unmenschlich wären die Gesetze ohne das mildernde Mittel des Bakschisch! Dieser aber» [und damit deutete er auf Kantakukuruz] «das Haupt der Ultra-Radikalen, wird in seiner Unbeugsamkeit und seinem Starrsinn soweit gehen, dass er den Bakschisch abschaffen wird.»

«Du lügst!» schrie darauf Kantakukuruz. «Ich selber nehme niemals weniger als tausend Lewonzen!»

So gewann mein Onkel Kantakukuruz den Wahlkampf in Maghrebinien und führte das Land zu einer ungewohnten Blüte. freudig

italy



Geschrieben von alpine-helmut am 06.04.2008 um 11:14:

  RE: Maghrebinische Geschichten

Wahrlich, capitano, ein schönes Buch!

Kenne ich seit längerem. Wurde vor 30 Jahren auch mal verfilmt. Mit Fritz Muliar.

Sehr lehrreich und erbaulich.

Besonders die Geschichte vom gefürchteten Räuber Terente und die Erklärung der maghrebinischen Blutrache ...



Geschrieben von captainpeter am 06.04.2008 um 16:41:

  RE: Maghrebinische Geschichten

Zitat:
verfilmt. Mit Fritz Muliar.


den kann ich mir da in einer Rolle gut vorstellen fröhlich

italy



Geschrieben von archivarius am 06.04.2008 um 19:36:

 

Ja, die Maghrebinischen Geschichten zielen nicht unbedingt auf ein Phantasiestaat, es ist vielmehr eine Persiflage auf die rumänische Geschichte.
Rezzori war bis 1990 in Rumänien ein "Rotes Tuch", seine Werke standen auf dem Index des Ceau_escu-Regimes. Es hat kaum mit der ukrainischen Geschichte oder Mentalität zu tun, seine Protagonisten sind der rumänischen Geschichte entnommen:

Bojaren Kantakukuruz = die Bojarenfamilie Cantacuzino
Pungaschij = rum: punga_ = Taschendieb
König Nikofor = Deutung auf Prinz Nicolae
u.v.a.

Insbesondere sind die "Geschichts-Kapitel" Maghrebiniens eine sehr geistreiche Verspottung des rumänischen Nationalismus und Chauvinismus, was insbesondere nach dem I. Weltkrieg, durch die Schaffung "Groß-Rumäniens" ad absurdum geführt wurde. Die gesamte Entogenese der Dako-römischen Abstammung der Rumänen wird durch den Kakao gezogen..
Wusste gar nicht, dass die Maghrebinischen Geschichten verfilmt wurden, habe leider sie nicht gesehen...
augenzwinkernd



Geschrieben von captainpeter am 06.04.2008 um 20:01:

 

sehr bedankt, Archivarius ... unter dem Aspekt wird mir vieles auch klarer beim Lesen ...

Zitat:
Wusste gar nicht, dass die Maghrebinischen Geschichten verfilmt wurden, habe leider sie nicht gesehen...


na, wenn das mit Fritz Muliar verfilmt worden ist, dann ist das todsicher über 30 Jahre her.
Müßte ine Produktion des ORF sein dann.
Experten bitte Googeln, ob man diese SAchen auf CD kriegt fröhlich

Das war auch die Zeit des "Braven Soldaten Schwejk" und all solche Sachen, die man heute nicht mehr liest und kennt, da natürlich schwerst rassistisch.

Die Rumänen stellt Rezzori als hinterlistige korrupte Ganoven hin und Jaroslav Hasek seinen Schwejk als den klassischen "Behm" ... verschlagen, hinterlistig, drückebergerisch, faul, aufmüpfig ...

alles natürlich absolut nicht wahr und gehört eigentlich laut neuem EU Recht alles auf den Index ... nicht nur im Rumänien Ceausescus ... teuflisch lachend

italy



Geschrieben von Huehnerbla am 06.04.2008 um 23:33:

 

Der Tipp mit "über 30 Jahre her" passt.

Maghrebinische Geschichten
TV-Serie (drei Teile)
Jahr: 1975
Darsteller: Stefan von Radakovic, Dr. phil. Jörg Mauthe
Drehbuch: Gregor von Rezzori
Buch: Gregor von Rezzori
Regie: Walter Davy
Auftraggeber: ORF, SDR, SFB und WDR



Geschrieben von captainpeter am 07.04.2008 um 00:22:

 

Gibts das irgendwo auf CD?
oder muß man sich das direkt beim Sender brennen lassen für ein Heidengeld?

italy



Geschrieben von Huehnerbla am 07.04.2008 um 00:26:

 

Auf einem Datenträger habe ich die Serie leider nicht gefunden. unglücklich
... zumindest nicht auf die Schnelle ...



Geschrieben von captainpeter am 07.04.2008 um 00:53:

 

Zitat:

Auf einem Datenträger habe ich die Serie leider nicht gefunden.


tja, wo sollte es auch herkommen?
1975 gabs noch keine Videorekorder (zumindest nicht privater Natur), wer sollte das also digitalisiert haben?

Und TV-Serien sind das allerschwerste zu kriegen.
Weil meistens keine Film-Versionen existieren.

italy


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